Viele Menschen rauchen Zigaretten. Aber warum beginnen Menschen mit etwas, das weder gut riecht noch gesund ist? Eine Annäherung.
Eine Reportage von Demian Scheidegger, Raisa Popeti und Maximilian Lanker
In der Schweiz rauchen - Stand 2022 - 27.1% der Männer und 20.8% der Frauen ab 15 Jahren.
Rauchende sind überall anzutreffen: Fussgänger:innen in der Stadt, Pendler:innen auf dem Weg zur Arbeit, Lehrkräfte und Schüler:innen am Gymnasium. Rauchen ist in allen sozialen Schichten und politischen Richtungen verbreitet.
Diese Umstände haben uns veranlasst, der Frage nachzugehen, warum Menschen überhaupt anfangen zu rauchen. Welche Faktoren beeinflussen diese Entscheidung? Sind es innere Motive, ist es das soziale Umfeld oder spielen andere Gründe eine Rolle? Denn dass Rauchen ungesund ist, weiss heute jeder. Rauchen allein ist weltweit für etwa 10% aller Todesfälle verantwortlich.
Dieses Paradoxon, dass Menschen um die gesundheitsschädlichen Auswirkungen des Rauchens wissen und dennoch an der Gewohnheit festhalten, hat unser Interesse geweckt.

Woraus bestehen Zigaretten?
Zigaretten bestehen aus etwa 4800 verschiedenen Substanzen, von denen etwa 250 giftig sind. Einige Stoffe sind von Natur aus im Tabak enthalten. Andere werden künstlich zugefügt. Auf den Zigarettenpackungen sind aber nur drei Inhaltsstoffe und ihre genaue Menge angegeben: Nikotin, Teer und Kohlenmonoxid (CO).
Nikotin ist ein stark süchtig machendes Nervengift. Beim Rauchen gelangt Nikotin in den Körper und ins Gehirn, wo es die Ausschüttung von Dopamin bewirkt. Dopamin sorgt für das angenehme Gefühl der Entspannung.
Teer ist eine organische Substanz, die sich in den Atemwegen, insbesondere in der Lunge, ablagert und diese schwarz färbt. Teer verklebt die Atemwege, was Raucher:innen anfälliger für Atemwegserkrankungen macht.
Kohlenmonoxid (CO) ist ein giftiges Gas, das beim Rauchen entsteht. Es bindet sich im Blut an das sauerstofftransportierende Hämoglobin und verhindert so den effektiven Sauerstofftransport zu den Organen. Dies kann langfristig zu Bluthochdruck führen.
Wen haben wir interviewt?
Wir haben Anna interviewt. Anna ist 34 Jahre alt. Sie lebt und arbeitet in Bern. Anna hat mit 13 Jahren ihre erste Zigarette geraucht. Heute raucht Anna ungefähr ein Päckchen (20 Zigaretten) pro Tag. Manchmal mehr, manchmal weniger. Wenn Anna ausgeht, raucht sie mehr, wenn sie zu Hause ist, raucht sie weniger.
Anna hat weder Psychologie studiert, um mögliche psychologische Gründe nennen zu können, noch hat sie beruflich mit dem Thema Rauchen zu tun. Unser Ziel war es, jemanden zu interviewen, der seine persönliche Geschichte erzählt. Anhand Annas Erzählungen versuchen wir, mögliche Gründe für den Rauchanfang zu erkennen.

Der Anfangsort der Sucht
Wir treffen Anna bei Max zu Hause. Anna wollte es so. Das war eine von zwei Bedingungen für das Interview. Die andere Bedingung war die Zigarettenpause, die wir ihr gewähren mussten. Anna wirkt entspannt und ruhig. Liegt es daran, dass sie kurz zuvor auf dem Balkon eine Zigarette geraucht hat? Sie dementiert es. Anna hat es sich gemütlich gemacht. Es ist ein kalter Märztag. Mit überkreuzten Beinen, in eine Decke gehüllt und Chips essend, sitzt Anna da und bereitet sich auf unser Interview vor. Wir - Demian, Raisa und Max - schauen sich in den Minuten vor dem Gespräch verlegen an. Schließlich sagt Anna, dass sie bereit sei.
"Es war neu, spannend und aufregend. Ich musste husten und spürte den Nikotinflash." - Anna
Wir beginnen das Interview. Anna ist 34 Jahre alt. Aufgewachsen ist Anna in Bern, wo sie mit ihrer jüngeren Schwester und ihrer Mutter unter anderem im Kirchenfeldquartier gewohnt hat. Auf dem Spielplatz des nahegelegenen Kirchenfeldschulhaus hatte sie auch ihren ersten Kontakt mit Zigaretten. Mit 13 rauchte Anna dort zum ersten Mal mit ein paar Kollegen aus der Klasse eine Zigarette. Die Erfahrung beschreibt sie als spannend und aufregend. An den Nikotinflash kann sie sich auch noch erinnern.
Später führt uns Anna zum Schulhausplatz. Sie zeigt auf eine alte Holzbank, die inmitten des grauen Platzes besonders auffällt. Hier hat Anna zum ersten Mal geraucht. Die Umgebung wirkt trostlos: Ein alter Basketballkorb, ein Fussballtor und zwei Rollschuhrampen sind die einzigen Dinge, die den Platz füllen. Der Asphaltboden verstärkt die Tristesse noch. Keine schöne Umgebung. Dennoch blickt Anna wie gebannt auf die unscheinbare Bank, die den Anfangsort ihrer Sucht markiert.

Rauchen in der Jugend
Nach ihrer ersten Erfahrung mit dem Rauchen folgen weitere. Rund ein Jahr oder anderthalb Jahre später fing Anna an, regelmässig zu rauchen. Etwa vier Zigaretten pro Tag. Damals war Anna in der siebten Klasse, also etwa 14 Jahre alt. Das Schulhaus hatte Anna gewechselt; sie war nun im Laubegg, doch die Gewohnheit des Rauchens blieb. Sie verstärkte sich. Der Grund dafür ist einfach: die (psychische) Abhängigkeit vom Nikotin. Körperlich, sagt Anna, sei sie nicht abhängig gewesen. Nicht der Körper braucht das Nikotin, der Kopf will mehr. Ein innerer Konflikt, den wahrscheinlich viele Raucher erleben. So auch Anna.
Der körperliche Drang nach Nikotin verstärkte sich. Anna rauchte schon bald mehr als drei, vier Zigaretten am Tag. Mit siebzehn oder vielleicht auch achtzehn, sie weiss es nicht mehr genau, war es eine Packung pro Tag. Der Preis von etwa 3.40 CHF pro Zigarettenpackung hielt sie nicht davon ab, so viel zu rauchen. Anna war an dem Punkt angekommen, den sie für weitere 17 Jahre behalten wird. Eine Packung Zigaretten pro Tag. Hochgerechnet auf siebzehn Jahre sind das rund 6200 Packungen. Angenommen, eine Zigarettenpackung ist 9cm hoch. Dann wäre der Turm an Packungen, die Anna geraucht hat, ca. 560m hoch. Ziemlich beeindruckend für uns, für Anna wahrscheinlich weniger. Gedanken ans Aufhören habe sie schon gehabt, erzählt sie uns, aber nie in die Tat umgesetzt. Auch jetzt denkt Anna nicht ans Aufhören. Diese Antwort von Anna kommt sehr schnell, fast ungewöhnlich schnell. Sonst nimmt sich Anna oft Zeit für die Fragen, die wir ihr stellen. Diesmal nicht.
"Das Neue war für mich ein Reiz. Und das Verbotene." - Anna
Im Gespräch erklärt uns Anna den Reiz des Rauchens. Für Anna ist es nicht das Nikotin gewesen, sondern vielmehr der Reiz des Neuen und des Verbotenen. Der Reiz des Brechens dieses Verbotes und somit auch der Protest gegen Eltern und Schule. Grundsätzlich eine Bewegung gegen alle, die einem Vorschriften auferlegen. Dieser Widerstand ist ein häufiges Verhalten von Jugendlichen in der Pubertät. Dabei lehnen sich die Jugendlichen gegen die von den Eltern auferlegten Regeln und Vorschriften auf. Diese Auflehnung ist ein oft beobachteter Ausdruck von Streben nach Autonomie und Identitätssuche. Viele Jugendliche durchlaufen diese Phase, um sich unabhängig zu fühlen und ihren Platz in der Welt zu finden. So war es wahrscheinlich auch bei Anna.
Rauchen ist heute kein Kriterium mehr für soziale Zugehörigkeit und Akzeptanz. Das Rauchen hat schon lange an Ansehen verloren. Rauchen hat eine negative Konnotation erhalten, die je nach sozialem Milieu variiert. In den Nullerjahren hatte das Rauchen allerdings noch einen anderen Stellenwert. Laut Anna verlieh es einem schon eine gewisse Coolness verliehen, wenn man(n) (oder frau) rauchte.
"Ich glaube schon, dass es in der Gruppe angefangen hat. Aber Gruppendruck ist nicht das richtige Wort" - Anna
Wie bereits erwähnt, machte Anna ihre ersten Erfahrungen mit dem Rauchen mit einigen Kollegen. Wir fragen Anna, ob sie angefangen hätte, wenn keiner ihrer Kollegen geraucht hätte. Anna überlegt lange. Es wird still im Raum. Anna starrt einen Moment an die Decke, als erwarte sie eine Antwort von oben. Wir warten gebannt auf die Antwort. Anna fasst sich und fängt an, aber Anna weicht unserer Frage aus. Absichtlich oder nicht, wissen wir nicht.
Fazit
Warum fangen Menschen an zu rauchen? Warum raucht Anna? Warum fängt eine Jugendliche zu rauchen an, die bisher wenig mit Zigaretten zu tun hatte? Im Gespräch mit Anna wird uns etwas klar. Die Gründe für das Rauchen sind genauso vielfältig und unterschiedlich wie die Menschen, die rauchen.
Das Verbotene. Wie bereits erwähnt, diente der Verstoss gegen das Verbot als Protest gegen die von den Eltern aufgestellten Regeln. Anna wollte wahrscheinlich Autonomie erlangen, indem sie sich nicht mehr an die von den Eltern auferlegten Regeln hielt. Ein innerer Grund.
Die Bindung. Rauchen verbindet. Für Anna hat das Rauchen zu Freundschaften, neuen Kollegen und (starken) sozialen Bindungen geführt. Annas Gemeinschaftssinn und ihre sozialen Strukturen wurden gestärkt. Ein sozialer Grund.
Die Coolness. In der Jugendkultur der 2000er Jahre galten Raucher oft als cool, was dazu beitrug, dass das Rauchen die soziale Zugehörigkeit definierte. Rauchen wurde als ein Zeichen der Reife und Unabhängigkeit angesehen. Dies veranlasste Jugendliche wie Anna, dieses Verhalten nachzuahmen, um in ihrer Gruppe akzeptiert zu werden. Ein sozialer Grund.
Die Gruppendynamik und Gruppenzugehörigkeit. Wie Anna im Interview mehrmals betont, war es kein Gruppendruck. Das Rauchen war ihre Entscheidung. Allerdings rauchte Anna am Anfang vor allem in der Gruppe mit einigen Kollegen geraucht. Sobald mehrere Personen in einem sozialen Umfeld rauchen, steigt die Erwartung, dass die andere Person auch raucht. Diese Entwicklung führt dazu, dass Rauchen als normales Verhalten innerhalb dieser Gruppe wahrgenommen wird. Das Rauchen wird als Norm betrachtet. Während anderes Verhalten (in diesem Fall das Nichtrauchen) als Abweichung von der Norm betrachtet wird. Anna wurde möglicherweise von dieser sozialen Norm beeinflusst, ohne dass sie direkten Druck verspürte. Ein sozialer Grund.
*Anmerkung: Anzumerken ist, dass wir nur eine Person befragt haben. Das Fazit ist nicht als Verallgemeinerung, sondern als Annäherung zu verstehen.
*Anmerkung: Manchmal neigen Menschen dazu, ihre Entscheidungen als rein persönlich und unbeeinflusst von anderen darzustellen. Sie tun dies, um ein gewisses Mass an Kontrolle oder Verantwortung zu behalten oder in ihrer Vorstellung aufrechtzuerhalten. Der Einfluss der Gruppe auf Anna könnte von ihr unterschätzt werden. Dieses Phänomen wird in der Sozialpsychologie als illusorische Korrelation bezeichnet. Illusorische Korrelation bezeichnet die irrtümliche Annahme eines Zusammenhangs zwischen zwei Phänomenen in der Umwelt, obwohl diese tatsächlich nicht miteinander korrelieren. In Annas Fall ist es genau umgekehrt. Anna glaubt keine Korrelation zu sehen, obwohl es vielleicht eine gibt.
Interviewauszug
Aus welchem Grund hast du die Zigarette geraucht? War es deine eigene Entscheidung oder haben dich Freunde dazu animiert?
Die Entscheidung, eine Zigarette zu rauchen, stammte von mir. Aber wir hatten ein Paar aus der Klasse, die Zugang zu Zigaretten hatten. Dann haben wir das einfach zusammen probiert.
War es allein deine Entscheidung, die erste Zigarette zu rauchen?
Es war schon eine Gruppenentscheidung. Aber Gruppendruck wäre falsch, denn vorher hat niemand geraucht. Ich habe keinen Druck gespürt. Ich wurde auch nicht unter Druck gesetzt. Es war eine gemeinsame Entscheidung. Wir haben uns auch zum Rauchen getroffen. Es war nicht so nebenbei. Es war ein gemeinsames Erlebnis ohne Druck. Wir haben alle bei Null angefangen. Gemeinsam.
Hättest du mit dem Rauchen angefangen, wenn niemand, den du kennst, geraucht hätte?
[Anna denkt lange nach, weicht der Frage allerdings aus] Ich glaube schon, dass es in der Gruppe angefangen hat. Aber Gruppendruck ist nicht das richtige Wort. Denn es gab niemanden, der aktiv darauf gedrängt hatte. Denn Druck setzt ja voraus, dass jemand anfängt zu rauchen und dann die anderen mitzieht. So war es nicht. Niemand zog mich rein. Es war meine Entscheidung.
Waren an das Rauchen Bekanntschaften gebunden? Dass du bestimmte Personen bei einer Rauchpause getroffen hast?
[überlegt] Ja, an das Rauchen waren Freundschaften gebunden.
Quellen
- Smoking prevalence and attributable disease burden in 195 countries and territories, 1990-2015: a systematic analysis from the Global Burden of Disease Study 2015 - PubMed (nih.gov)
- Zigaretten: Welche Inhaltsstoffe und Gifte sind drin? - Gesundheit - SZ.de (sueddeutsche.de)
- Nikotin im Körper: Was ist Nikotin? Wie wirkt es? (rauchstopp.info)
- Teer ▶ Rechtschreibung, Bedeutung, Definition, Herkunft | Duden
- Zigaretten: Welche Inhaltsstoffe und Gifte sind drin? - Gesundheit - SZ.de (sueddeutsche.de)
- Kohlenstoffmonoxid – Chemie-Schule
- Was ist illusorische Korrelation? - Gedankenwelt - Sozialpsychologie